Sagen unserer Heimat

Thüringen ist bekannt für einen reichen Sagenschatz. Eine kleine Auswahl von Sagen aus dem Ruhlaer Gebiet soll hier einen Einblick in die Geheimnisse der Sagenwelt längst vergangener Zeiten geben.

Der Schmied von Ruhla

Der Name unserer Bergstadt Ruhla leitet sich von rollenden Wasser - rulle o. rolle - her. Für das 12 Jhdt. ist Eisengewinnung im Raum Glasbach / Alte Ruhl durch archäologische Funde nachgewiesen. Wahrscheinlich ließen sich zu dieser Zeit (12. - Anf. 14 Jhdt.) Wald- und Waffenschmiede in dem für Gewerbe günstigen Tal nieder, da hier Eisenerz an Ort und Stelle mit Hilfe des reichlich vorhandenen Holzes und der Wasserkraft des Flusses ein geschmolzen werden konnte.
Dieses damals ortstypische Handwerk fand später auch seinen Niederschlag in der bekannten Sage vom "Schmied von Ruhla" , der noch heute als Symbol das Stadtwappen Ruhlas ziert.

Der Burgherr der nahen "Wartburg" Landgraf Ludwig verirrte sich eines Tages bei der Jagd in den dichten Ruhlaer Wäldern und sah sich deshalb genötigt, in einer einsamen Waldschmiede zu übernachten. Landgraf Ludwig war als sehr nachsichtiger und weicher Herr über sein Land und besonders seine Vasallen bekannt.
Der Schmied - ob nun in Unkenntnis darüber, wer sein nächtlicher Schlafgast war oder sehr wohl wissend, wen er beherbergte - ließ bei seiner Arbeit keinen Zweifel darüber, wie er über den Landgraf und seine Herrschaft dachte. Bitter beklagte er sich über den Zustand des Landes und wie die Edelleute mit ihren Bauern und Untergebenen umgingen.
Jeder Schlag mit dem Hammer auf den Amboss bekräftigte die bittere Klage des Schmiedes und endete mit den Worten : "Landgraf, werde hart!"
Der Landgraf hörte alles und beschloss, den Worten des Ruhlaer Schmiedes Folge zu leisten.
Die Sage berichtet weiter, dass er seine widerspenstigen Edelleute vor einen Pflug spannte und mit ihnen einen Acker in der Nähe seiner Burg "Neuenburg" pflügte. Noch heute wird dies der "Edelacker" genannt.

So hat der Schmied von Ruhla schon damals die Geschicke des Landes Thüringen und seines Herren beeinflusst. Der Landgraf wurde von da an "der Eiserne" genannt.

Der Wuwwerbözer

Seit uralten Zeiten haust in den Ruhlaer Bergen und Wäldern ein eigener, mächtiger Berggeist. Schon zu der Zeit, als noch keine Menschen das Ruhlatal besiedelten, war er der Herr der Berge. Bis in die Wipfel der Bäume und bis hinunter in die Tiefen, wo wertvolle Erze und wunderbare Schätze liegen, war ihm die Macht gegeben. In seinem unterirdischen Reich, das im Ringberg einen Mittelpunkt hat, glänzt es von edlen Metallen und Gesteinen. Zwerge und Wichtel, von den Ruhlaer Bewohnern später Hütchen genannt, standen in seinen Diensten. Sie trugen die Schätze zusammen, gewannen und bearbeiteten Erze, waren da und dort in Wald und Flur tätig. Sie wurden später auch ausgeschickt um den fleißigen Menschen in der Ruhl, den Bergleuten, Schmelzern und Schmieden an die Hand zu gehen.

Im Ringberg befindet sich auch der eigentliche Wohnsitz des Berg- und Waldgeistes. Große einem Palast ähnliche Räume sollen es sein. Von einer Kanzel auf der unbewaldeten Höhe des Berges ist das Gebiet, in dem der Berggeist seine Macht ausüben kann, leicht zu überblicken. In seinem Reich über der Erde war er der Hüter der Landschaft. Er hegte und pflegte die Tiere, die Bäume des Waldes, die Pflanzen und Blumen auf den Fluren und Hainen. Auch trieb er sein Spiel mit ihnen, ebenso mit den Wassern und den Felsen der Berge.
Als dann die Menschen in das Land kamen, war er ihnen nicht feindlich gesinnt, sondern empfand immer wieder Lust, sie bei ihrem Tun und Treiben zu beobachten und kennenzulernen. Er sah dem Bergmann, dem Köhler und dem Waldschmied bei ihrer Arbeit zu. Den Jäger begleitete er auf die Jagd nach dem Wild, war dem Holzfäller bei seiner schweren Tätigkeit, dem Viehhalter beim Gras mähen und Heu machen auf den kargen Bergwiesen mitunter behilflich. Trieb mit dem Hirten die Herde zur Waldweide, wanderte oder fuhr mit dem Handelsmann über steinige Wege, schob den Karren oder half bremsen.

Dabei konnte er vielerlei Gestalt annehmen und nicht selten war er unsichtbar anwesend. Zuweilen tat er den Menschen Gutes, neckte und ängstigte sie aber auch. Bitterböse wurden Bösewichter, Betrüger und Hartherzige behandelt.
Die Menschen hatten gar bald die Existenz des Berggeistes bemerkt. Wenn sie glaubten ihm zu begegnen oder meinten er sei in der Nähe, schlug ihr Herz vor Aufregung oder Furcht schneller, bubberte heftiger - es wuwwerte - wie sie sagten.
Der Geist legte es aber auch darauf an, sie durch gespensterhafte Erscheinungen, durch Irrlichter oder plötzliches Rauschen und Windstöße, ja sogar donnernde Schläge fürchten zu machen - sie zu bözen.

Deswegen gaben sie ihm den Namen Wuwwerbözer - der Scheu und Ehrfurcht vor ihm ausdrücken sollte. Zu erkennen ist er an seiner übergroßen Gestalt. Bekleidet mit einem breitkrempigen Hut, einem dunkelrötlich schimmernden Umhang und einem knorrigen Ast als Bergstock. Zeigt er sich in einer anderen Gestalt, ist er für die Menschen nicht erkennbar.

[aus Sommergewinnsheft 2002]

Vörwerts-Häns, der Wunderdoktor von Thal

Ende des 18./ Anfang des 19. Jahrhunderts lebte in dem zum Herzogtum Sachsen-Gotha gehörigen Dörfchen Thal ein gar seltsamer Mann, ein lebendiges Buch mit sieben Siegeln. Es war der weit und breit als Wunderdoktor und Hellseher bekannte Johannes Hornschuh, der in der Gegend aber nur der "Vörwerts-Häns" genannt wurde.

Er stammte aus dem "Vorwerk", einem früheren Meiereigehöfte am unteren Ende von Thal. Sein Vater war freiherrlicher Meier und man nannte den Knaben dem Ortsbrauche nach "Vorwerks Hänschen", weil dies aber unbequem war, wurde er in Mundart "Vörwerts-Häns" gerufen. Diesen Namen, den er als Knabe empfing hat er, wie es mit solchen Namen oft geht, sein Leben lang behalten. Als "Vörwerts-Häns", lebt der Wundermann bei den Bewohnern von Thal und Umgegend noch fort bis auf den heutigen Tag.

Häns war seinem Berufe nach Fenstermacher. Sein Haus stand im oberen Teile des Dorfes in einem kleinen Gärtchen. Von früh an hatte er mit harter Not zu kämpfen. Da es schon im Elternhause hinten und vorne nicht langen wollte, so musste er von Kindheit an brav arbeiten, lernte aber dabei weder lesen noch schreiben. Später hatte er kaum für den Sonntag ein paar Pfennige übrig zu einer Kanne Bier. Deshalb streifte er in den Stunden der Erholung auf den Bergen und in den Tälern umher.

Halbe Sonntage kroch er oft auf der alten Burg Scharfenberg herum und war überall in der Gegend, nur da nicht wo andere Menschen verkehrten. Seine Gesellschaft waren die Hirten, bei denen er sehr gern verweilte und mit denen er sich stundenlang unterhielt. Von ihnen lernte er gar mancherlei, das meiste von dem damaligen Ruhlaer Hirten Hans Heß, der große Pflanzen- und Heilkenntnisse hatte. Auch verkehrte er mit dem berühmten Seebacher Medicus Johannes Dicel, der ihm aus dem reichen Schatze seines Wissens ebenfalls mancherlei mitteilte. So lernte er recht bald viele Heilkräuter und ihre Anwendung kennen und konnte bei Krankheiten den Leuten schon behilflich sein.

Als Hänsens Eltern gestorben waren und er seine Profession tüchtig verstand, gründete er einen eigenen Hausstand. Trotz Fleiß und Sparsamkeit reichte sein Verdienst zum Unterhalt der Familie bald nicht mehr aus. Er verdoppelte seinen Fleiß, erledigte auch alle Schreinerarbeiten, die man ihm antrug und gönnte sich kaum ein paar Stunden Schlaf. Aber in seiner Arbeit war kein rechter Segen, desto mehr in seiner Ehe, denn in gut sechs Jahren wurden ihm acht Kinder geboren.

In den wenigen freien Stunden am Sonntagnachmittag ging Häns nach wie vor zu den Hirten oder streifte durch Wald und Flur, suchte dabei die entlegensten Stellen auf. Dabei soll er Erd- und Wassergeister, sowie die Wunderblume kennengelernt, ein geheimnisvolles Lehrbuch gefunden und erste Wunderkräfte erlangt haben. Von zwei Jesuiten, die als Schatzgräber auf den Heiligenstein gekommen waren und mit denen er sich weitgehend eingelassen hatte, soll er in geheimnisvollen Dingen unterwiesen worden sein und ein Zauberbuch, welches "Der Höllenzwang" gehießen, erhalten haben. Daraus lernte er, wie man erzählte, den Blut- und Feuersegen sowie die Kunst, Geister und Verstorbene zu zitieren.

Nach der Bekanntschaft mit den beiden Fremden ging es Häns besser. Er hatte zu kurieren und wahrzusagen begonnen, brauchte nicht mehr so viel zu arbeiten, konnte täglich sein Bier trinken, sich, seine Frau und die Kinder besser kleiden. Als der Zulauf stark wurde, hängte er das Handwerk an den Nagel und verlegte sich ganz aufs Kurieren und Wahrsagen. Er klärte Diebstähle und Geschehnisse auf, heilte Krankheiten und Gebrechen, bei denen die Kunst der Ärzte versagt hatte. Seine Fähigkeiten soll er einem Wassergeist zu verdanken gehabt haben, den er sich angeblich mit Hilfe der fremden Mönche dienstbar gemacht hatte.

Wegen seiner sympathischen Kuren und der Hellseherei geriet er einige Male mit der Obrigkeit und den Gerichten in Konflikt, erhielt sogar zeitweilig Verbote. Späterhin, als er eine hochgestellte Person durch seine Heilkunst gesund gemacht hatte, gewährte ihm der Herzog von Gotha Kurierfreiheit.

Alt und lebensmüde starb der berühmte Wunderdoktor zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Seiner Aussage nach hätte es nur seines Willens bedurft, um noch weitere zehn Jahre zu leben, aber er war des Lebens überdrüssig.

Nach seinem Tode fanden die Erben nichts Nennenswertes in den Zimmern. Vörwerts-Häns hatte zwar des Teufels Künste angewandt, aber alles getan, um nicht in seine Klauen zu geraten. Darum hatte er keine Schätze angehäuft und sich gern gegen Jedermann zuvorkommend verhalten. Ob es seiner Seele genützt hat - wer weiß? Die Menschen um Ruhla herum sprechen jedenfalls heute noch voller Hochachtung von ihm.

[aus Sommergewinn-Heft 2002]

Das Laubmännchen

Im alten Ruhla zogen zur Pfingstzeit, sobald also der Wald wieder grün war, Jugendliche und Kinder hinaus in den Wald, banden einen Jüngling oder Knaben von ihnen ganz in grüne Zweige ein, so dass nur noch die Schuhe sichtbar waren. Für die Augen wurde ein Sehschlitz gelassen, die Zweige ragten aber über den Kopf hinaus und wurden zu einer Spitze zusammengebunden. Dann führte man das "Laubmännchen", das noch mit bunten Bändern und Tüchern behängt war, unter Gesang und Freude in den Ort. Unter der Linde oder auf dem Plan fand dann eine Art Frühlingsfest mit Tanz und besonderen alten Volksliedern statt.

Im "Laubmännchen" ist der personifizierte Frühling selbst zu verstehen bzw. der alte germanische Lichtgott "Baldur", der im Winter tot, nun zu neuem Leben erweckt wurde.
Bis etwa um 1840 war dieser Brauch in Ruhla und Umgebung üblich.

[aus Sommergewinn-Heft 2002]

Hans Heß, der Rühler Hirte
Ein anderer wundertätiger Mann, der gleichfalls in hohen Ehren bei den Rühlern und den Bewohnern der umliegenden Ortschaften stand - war Hans Heß ein alter Hirte.
Auf dem Tenneberger Boden in der Ruhl hatte er seine Wohnung. Dort hauste er. Der wusste auch mehr als andere und schaute übernatürliche Dinge. Er konnte den Menschen ihre geheimsten Gedanken aus der Seele herauslesen, wie aus einem vor ihm aufgeschlagenen Buch. Auch konnte er alle Krankheiten heilen. War aber der Kranke für den Tod reif, so sagte es der Hirte ohne Umstände. Seine Weisheit hatte er von einem Pudel, der ihm alle Geheimnisse offenbarte. Auch Zauberbücher besaß er, aus denen er seine Kenntnisse schöpfte.

Kam jemand zu ihm und fragte nach etwas Verborgenem, so ging Hans Heß aus der Stube und jedes Mal folgte ihm der Pudel, der sonst hinter dem Ofen lag. Sobald der Hirte mit dem Hund wieder hereinkam, konnte er dem Aufschluss Begehrenden alles mitteilen was dieser zu wissen verlangte.
Als nun der Pudel so alt und schwach geworden war, dass er kaum noch laufen konnte, bereitete ihm sein Herr ein weiches Lager unter dem Ofen. Von da an musste jeder, der die Künste des Hans Heß zu seinem Vorteil gebrauchen wollte und ihn aufsuchte, die Stube verlassen, nachdem er sein Anliegen vorgetragen hatte. Der Hirte besprach sich dann im Zimmer mit dem Pudel. Gar mancher der eifrig lauschte, hat vernehmen können, wie der Wundermann sich mit seinem klugen Tier unterredete.

Von Hans Heß soll folgende Beschwörungsformel stammen:
Geist, ich beschwöre dich, pex, pix, pax,
bei Hering, Flederwisch und Lachs,
dass du, verfluchter Beelzebock,
ausfahrest über Stein und Stock!
Schließlich starb der Pudel. Der Alte aber konnte den Verlust seines treuen Gefährten und Gehilfen nicht lange ertragen. Kaum sieben Tage vergingen, bis man Hans Heß, den Hirten zu Grabe tragen mußte.

[aus Sommergewinn-Heft 2002]
Der Jäger vom Ringbergstein
Hoch oben auf dem Ringbergstein steht eine Schutzhütte. Von dort aus hat man einen herrlichen Blick hinunter in das romantische Tal. Manchmal lässt sich auf dem Felsen ein Jäger sehen, der wie ein Krieger aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges gekleidet ist. Still und ruhig sitzt er da auf dem Felsblock, hält die Büchse schussbereit in der Hand und wartet, ob nicht ein Stück Wild aus dem Gebüsch hervortritt.
Einst kam eine Rühler Frau zu dem Felsen, als sie plötzlich den gespenstischen Jäger erblickte. In dem Glauben, es habe sich jemand zum Scherze verkleidet und hierher gesetzt, schritt sie nach kurzem Besinnen weiter. Wie sie sich aber anschickt, an dem Mann vorüberzugehen, ist der wie ein Blitz verschwunden. Zu Tode erschreckt, stürmte die Frau den Weg hinunter nach Hause.
Solche spukende Jäger gibt es viele. Auch Kroaten und Landsknechte gehen um. Im Dreißigjährigen Krieg sollen wilde Kriegshorden in der unglücklichen Ruhl gehaust haben. Von ihnen sind etliche erschlagen worden. Wegen ihrer Schandtaten fanden sie keine Ruhe in den Gräbern und treiben sich seit jener Zeit umher. Vielleicht ist auch der Jäger auf dem Ringbergstein der Geist eines solchen unseligen Kriegers. Aber es gibt Leute, die meinen, die Erscheinung sei nichts anderes als der Wilde Jäger.

[aus Sommergewinn-Heft 2002]
Die weiße Frau aus dem Tolljungfernstein
Unfern von Ruhla, über dem Forsthaus nahe dem Goldborn, erhebt sich ein Felsen, den man den "Tolljungfernstein" nennt.

Vor vielen Jahren wurde dort hinein eine Jungfer gebannt. Warum das so gekommen ist, weiß heute niemand mehr zu sagen. Aber es muss ein schlimmes Verbrechen geschehen sein, in das diese Jungfer verwickelt war.

Von Zeit zu Zeit lässt sie sich sehen. Dann trägt sie am Gürtel einen großen Schlüsselbund, blickt traurig vor sich hin und seufzt als müsse sie Zentnerlasten tragen. Immer hat sie ein schlohweißes Gewand an, steht zunächst auf dem Felsen und hält Ausschau als erwarte sie jemanden. Da nun aber niemand kommt- steigt sie wieder herab, wandelt still und ohne Geräusch um den Felsen herum.

Plötzlich aber überkommt es sie - sie ergreift den an ihr herabhängenden Schlüsselbund, schüttelt die Schlüssel wild hin und her, dass sie laut rasseln und klirren und gebärdet sich unsinnig und rasend. Danach verschwindet sie mit einem Male wieder in den Felsen, der nach ihr den Namen trägt.
In der Ruhl aber gilt das Sprichwort für alle diejenigen, die sich wie Verrückte aufführen:
"Sie gebärden sich wie die tolle Jungfer"

[aus Sommergewinn-Heft 2002]
Muto non cieco
Ein Weißenborner Klosterbruder, dem heißes Blut in den Adern pulste und dem ein empfängliches Herz in der Brust schlug, hatte sich in eine Jungfrau aus Thal verliebt und obwohl er das Gelübde der Keuschheit geleistet, stellte er ihr nach. Auch die Jungfrau war von Fleisch und Blut, und sie schenkte ihr Herz dem Mönche. Erst suchten und trafen sie sich an einsamen, verschwiegenen Stellen der waldreichen Umgebung, dann aber wurden sie immer unvorsichtiger und dreister bei ihren Zusammenkünften. Immer näher und näher an Dorf und Kloster fanden sie sich zum Stelldichein. So wurden sie denn einst in der Abendstunde eines Maientages dort, wo heute jener Stein steht*1, überrascht, wie sie weltentrückt, taub und blind sich in ihrer heißen Liebe hingaben. Der Prior selbst*2 war es, der das Pärchen so antraf. Doch er verzieh dem Mönch, vielleicht dachte er daran, dass auch er einmal jung gewesen. Nur einen Stein ließ er an jener Stelle, der sogenannten Klosterhecke, aufstellen mit der Inschrift " muto non cieco",zu deutsch
" stumm, nicht blind ". Er wollte damit sagen, dass er wohl gesehen habe, aber schweigen wolle. Das Mal sollte eine Warnung sein für den leichtfertigen, sündigen Mönch und auch die anderen Klosterbrüder.

(Auszug "Ruhl. Sagen" T. 2 L. Köllner, als Ruhlaer Überlief.
bezeichnet)

*1 Stein mit Aufschrift steht jetzt im Eingangsbereich der Klosterkirche (OT Thal)
*2 nach and. mündl. Überlief. wird auch ein Förster o. Jäger genannt
Das Kind in der Mauer
Es ist eine uralte Überlieferung, dass bei Errichtung von wichtigen Bauwerken ganz bestimmte Opfer, oft sogar Tier- und Menschenopfer*1, gebracht wurden, um böse Geister abzuhalten und die Mauern standhaft zu machen. Beim Bau von Burgen sollen nicht selten neugeborene, ungetaufte Kinder lebendig eingemauert worden sein. Sie vermochten angeblich, den notwendigen Schutzzauber auszuüben.
Als man vor langer, langer Zeit daran ging, die Burg Scharfenberg hochzumauern, erinnerte man sich auch des alten Brauchs und überlegte, wie man zu einem Kinde für diesen grausamen Dienst kommen könne. Da hörten die Bauherren von der Niederkunft einer Bäuerin in einem Hofe in der Nähe.
Rasch entschlossen drangen sie in der folgenden Nacht bei der Wöchnerin ein und raubten das Kind. Noch bevor die arme Frau Hilfe herbeirufen konnte, ritten sie auf den Burgberg zurück und übergaben noch ehe der Morgen dämmerte ihre Beute den Maurern. Sogleich gingen diese daran, das Kind in eine vorbereitete Öffnung zu legen und diese mit Steinen und Kalk zu verschließen. So ward das schauerliche Werk vollbracht, bevor es Tag wurde. Die Mutter vermochte den Raub und das Einmauern ihres neugeborenen Kindes nicht zu verwinden. Ruhelos irrte sie nachts durch den Wald um die Burg Scharfenberg. In stürmischen Nächten, wenn der Wind über die Baumwipfel heult, kann man heute noch ihr Klagen bei den Ruinen hören.

(aus "Ruhl. Sagen" T.2 L. Köllner, n. Ludwig Storch)

*1 während der Sanierung des Burgturmes 1993/94 wurde im Mauerwerk eine versteinerte Hausschweinpfote gefunden, nach Auskunft der Archäolog. Denkmalpflege Weimar ein Bauopfer